5
4
Am Anfang war der Bugholzstuhl
Als nach der Revolution von 1848 viele Menschen
erwerbslos waren, waren viele Arbeitskräfte frei
für die neuen Thonet-Fabriken – Dampfmaschi-
nen wurden in Betrieb genommen, die ersten
Exportaufträge gingen ein. Den Durchbruch
schafften die Gebrüder Thonet – das Unterneh-
men war inzwischen auf die Söhne Michael
Thonets überschrieben worden – im Jahr 1859
mit dem aus massivem Holz gebogenen Stuhl Nr.
14, dem berühmten Wiener Kaffeehausstuhl, der
heute zu den Ikonen der Designgeschichte zählt.
Die Thonets verstanden es von Beginn an, neue
Strömungen und technische Möglichkeiten in ihre
Arbeit einzubeziehen, schon als sie mehr Ahnung
als Realität waren. Von Anfang an präsentierten
sie ihre Entwürfe auf den zeitgenössischen
Gewerbeausstellungen. Die mehrsprachigen
Kataloge der Gebrüder Thonet machten die
Produkte schon bald zu Exportschlagern. Im
nahen und fernen Ausland entstanden Verkaufs-
niederlassungen, bis schließlich ein weltweites
Vertriebssystem für die Vermarktung von
Thonet-Möbeln installiert war.
Das Jahr 1900 hob die Thonet’sche Möbelidee aus
der Anonymität des Werksentwurfs. Denn nun
entdeckten die Architekten der Sezession – Josef
Hoffmann, Adolf Loos, Otto Wagner, Marcel
Kammerer – die gestalterischen Möglichkeiten
des gebogenen Holzes und verorteten das
Bugholzmöbel im Raum, in der Architektur:
Jugendstil und Bugholz vereinten sich.
Auf diese Periode folgte eine Zeit der Ernüchte-
rung. Mit der Krise der bürgerlichen Ideale im
Ersten Weltkrieg wurden Forderungen nach
„maschinengereinigten“ Formen laut, die mit
der Strömung der Neuen Sachlichkeit in den
1920er-Jahren einhergingen. Für die Architekten
der Bauhauszeit stand der Wiener Sessel der
Gebrüder Thonet als Idealbild des zeitgemäßen
Sitzmöbels und Ausdruck des modernen Geistes.
Aber auch ein weiterer, dem Bugholz in
Schlichtheit und Materialehrlichkeit ähnelnder
Werkstoff war bei den Architekten hoch im Kurs:
das Stahlrohr. Die Erfindung der seinerzeit
revolutionären Stahlrohrmöbel, bei denen das
Rohr kalt gebogen wurde, markiert aus heutiger
Sicht eine neue Ära in der Designgeschichte.
When many people were out of work after the
1848 revolution, many workers were available
for the new Thonet factories – steam engines
were put into operation, and the first export orders
were received. Gebrüder Thonet – the company
had meanwhile been signed over to Michael
Thonet’s sons – had its breakthrough in the
year 1859 with the chair no. 14 bent from solid
wood, the famous Vienna coffee house chair
that is one of the icons of design history today.
The Thonets understood from the beginning
the need to integrate new movements and techno-
logical developments into their work, even when
they were still more of an idea than a reality.
From the onset, the brothers presented their
designs at the contemporary trade exhibitions.
The multi-lingual catalogues of Gebrüder Thonet
soon assured that the products became export
hits. Sales offices were established in both near
and distant foreign countries until, in the end,
a worldwide distribution system for the marketing
of Thonet furniture was in place.
The year 1900 lifted Thonet’s furniture idea
from the anonymity of in-house designs: now,
architects of the Secession – Josef Hoffmann,
Adolf Loos, Otto Wagner, Marcel Kammerer –
discovered the design possibilities of bent wood
and located the bentwood furniture in space, in
architecture: art nouveau and bentwood united.
A phase of disillusionment followed this period.
The crisis of bourgeois ideals during World War I
brought with it demands for “machine-cleansed”
forms that came along with The New Objectivity
in the 1920s. For the architects of the Bauhaus
era, the Vienna chair of Gebrüder Thonet represent-
ed the ideal of contemporary seating furniture
and an expression of the modern spirit. However,
another material, similar to bentwood in its
simplicity and honesty, was in high demand
among architects: tubular steel. The invention
of tubular steel furniture made of cold-bent
tubular steel – revolutionary at the time –
marks a new era in design history from today’s
perspective.
In the beginning was the bentwood chair