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Mastery
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Maestrie
für Wohnräume bestimmt
sind, und für eine Welt, in
der Feinbearbeitungen eine
gänzlich andere Bedeutung
zukommt.
Auf diesem Weg erkennen
sie, dass es wichtig ist, vor dem
Sandstrahlen die Kanten der
schmalen und der breiten Seite
des Kegels von Hand mit dem
Schlauch zu bearbeiten.
Ein Arbeitsschritt, der nötig
ist, um die Gießspuren
zu entfernen.
Ist alles erledigt, wird das
Werkstück nach Aufbringen
einer wasserabweisenden
Beschichtung und nach
erfolgreicher Qualitätskontrolle
durch Foscarini nach Pordenone
geschickt, wo die Leuchten
elektrifi ziert und in Folge zurück
nach Marcon geliefert werden.
Natürlich musste sich
Piccinelli an diese neue
Welt erst gewöhnen, in
der Qualitätskontrollen
etwa zweimal pro Monat
mittels exakter Messungen
durchgeführt werden.
Und das mit Kontrollmaßen für
Zementstärken, die nichts mit
jenen von früher zu tun haben,
als die Toleranz nach dem
Entformen der Bauteile zum
Teil mehrere Zentimeter betrug.
Die aktuelle Entwicklung in
Richtung einer Miniaturisierung
von Zementerzeugnissen
zeigt sich damit auch in den
Stifthaltern, Vorhangstangen
und Armaturen, die Crea
produziert und mit denen
das Unternehmen dem
„Wandel“ des Materials optimal
Rechnung trägt.
Giancarlo Moretti, einer
der beiden Eigentümer von
Vetrofond, räumt zwar ein, alle
Formen der Glasbearbeitung zu
beherrschen, sieht sich selbst
allerdings als Spezialist der so
genannten Zanfi rico-Technik.
Bei diesem Verfahren
werden im Ofen mehrere
Plättchen zugleich erhitzt
und anschließend zu einem
Spiralmuster gedreht. Dennoch
kommen zu ihm nach Casale
sul Sile im Grunde „alle zum
Glasblasen“.
So wendet sich etwa auch
das renommierte Label Louis
Poulsen an Vetrofond, wenn
es zeitweilig von Metallblech
und Acrylkugeln absieht, um
die Deckenleuchten von Arne
Jacobsen oder die Refl ektoren
von Verner Panton mit Glas zu
gestalten. Um das Glas blasen
und dekorieren zu lassen, blickt
man hier lieber nach Venetien
als nach Deutschland/Böhmen.
Auch die Zusammenarbeit
von Vetrofond und Foscarini
läuft bereits viele Jahre und
spiegelt sich im Umsatz des
Unternehmens mit gewichtigen
20 % wieder.
Die Glasbläser kommen
dabei ausnahmslos aus
Italien und ihre Ausbildung ist
lang. Mindestens fünf Jahre
dauert es, einen Glasbläser
auszubilden.
Die Arbeit erfolgt dann in
Teams von drei bis fünf
Arbeitern, die sich auf die
Modelle eines bestimmten
Herstellers spezialisieren,
wobei im Fall von Foscarini die
Fertigung durch zwei Teams
erfolgt. In diesem Fall wechseln
sich alle fünf Mitglieder eines
Teams beim Glasblasen und
in der Nachbearbeitung ab.
Nachdem mit dem Rohr die
„Pea“, die birnenförmige Kugel,
aufgenommen wurde, wird
die Glasmasse geblasen und in
eine Form eingepasst. Dieser
Vorgang erfolgt von Hand –
maschinell ist hier fast nichts
möglich.
Im Fall der Leuchte Rituals von
Ludovica und Roberto Palomba
dauert der Blasvorgang etwa
drei Minuten, die anschließende
Feinbearbeitung ungefähr zehn.
Um die besondere gipsähnliche
Oberfl äche zu erhalten, die die
unregelmäßigen Rillen so schön
zur Geltung bringt, wird die
Leuchte zunächst außen matt
geschliff en und dann weiter
bearbeitet.
Auf diesem Weg werden
unschöne Flecken vermieden
und die Oberfl äche wird
gleichmäßig weiß. Nur so
kann ein ähnlich warmer
Farbton erzielt werden wie bei
Reispapier (etwa wie bei den
Leuchten von Isamu Noguchi),
der in überraschendem Kontrast
zu dem für Glas so typischen
refl ektierenden Glanz steht.
Eine andere Möglichkeit,
um die Wirkung von Glas
zu beeinfl ussen, besteht in
der Verwendung von matten
Farben, die stärker mit den
Farbtönen der Umgebung
verschmelzen. Bei der
Leuchtenserie Buds von Rodolfo
Dordoni wird der Glanzeff ekt
von Glas etwa durch die
Verwendung von Grün-, Grau-
und Brauntönen gedämpft.
Kühle Farben, bei denen
die exakte Dosierung
der zuzusetzenden
eisenoxidhaltigen Mineralien
überaus schwierig ist.
Jede von Foscarini veranlasste
Schmelzprobe – deren
Zusammensetzung jeweils
streng geheim gehalten
wird – ist eine komplexe
Angelegenheit und bringt für
Moretti relativ hohe Kosten mit
sich. Man bedenke nur „die 100
Kilo Material und die Kosten für
das Gas, die Arbeitskraft und
den Produktionsausfall“.
Doch auch wenn er dabei
die Nase rümpft, ist Moretti
anzusehen, dass ihn diese
Herausforderung reizt.
Crea und Vetrofond
gelingt damit eine Innovation
hinsichtlich der Verwendung
ihrer Werkstoff e, die in erster
Linie in einer Umkehrung deren
optisch-technischer Wirkung
besteht: Zement soll „häuslich“
werden und seine brutalistische
Konnotation verlieren.
Und geblasenes Glas soll
sein glitzerndes, exklusives
Flair aufgeben und sich
möglichst unauff ällig in die
Farblandschaft der Standard-
Einrichtung einfügen.
Das Ergebnis ist eine gänzlich
andere Wahrnehmung des
Materials.
Das dritte Unternehmen,
FAPS, ist hingegen ein
interessantes Beispiel für die
Erschließung eines neuen
innovativen Werkstoff s, der
im Wohnbereich bisher kaum
Verwendung fand: Kohlenstoff -
Faser. Mit ihm stellt das
Unternehmen zugleich sein
Kerngeschäft um, das sich
ursprünglich auf die Fertigung
von leistungsstarken Angelruten
konzentrierte.
Der Unternehmenstradition
im Bereich Verbundstoff e
treu ergänzt FAPS sein
Angebot an Erzeugnissen aus
glasfaserverstärktem Kunststoff
und Glasfaser damit nun auch
um Produkte aus den neuen
Kohlenstoff -Fasern.
Für den Eigentümer von FAPS,
Ingenieur Maurizio Onofri,
bedeutet dies eine Ausweitung
des Warenspektrums auf völlig
neue Bereiche, auf Produkte
aus den unterschiedlichsten
Branchen, in denen
leistungsstarke Komponenten
mit geringem Gewicht benötigt
werden.
In Folge werden
Walzen für die Industrie
und Fahrradgestelle sowie
Komponenten für die Schiff fahrt
– wie Spibäume, Segellatten
und Pinnenverlängerungen – in
die Produktion aufgenommen,
zusätzlich zu den Angelruten,
die im Programm bleiben.
Reine Glasfaser hatte in der
Welt des Designs hingegen seit
jeher kaum eine Rolle gespielt
(der raffi nierte Armstuhl Nena
von Richard Sapper für B&B
aus dem Jahr 1986 war mit
seinem Gestell aus Glasfaser
für die Produktion letztlich
zu komplex), der Einsatz
beschränkte sich praktisch auf
einige wenige Sitzmöbelmodelle
von Alias. Nun gilt es, die
spezifi schen Verarbeitungs- und
Anwendungsmöglichkeiten des
neuen Verbundstoff s für die
Designbranche zu entdecken,
ohne damit ältere Werkstoff e
imitieren zu wollen.
Die Leuchtendesigns,
die Marc Sadler
Foscarini vorschlägt,
beinhalten schließlich
ein Stehleuchtenmodell,
das sich ideal eignet, um
die Möglichkeiten von
Kombinationen aus Glas- und
Kohlenstoff -Faser auszuloten
und FAPS in die Entwicklung
der Leuchte einzubinden.
FAPS beginnt in Folge
an einer wirtschaftlichen
Kombination zu arbeiten, bei
der die beiden Werkstoff e
einander synergetisch
ergänzen: Glasfaser ist
fl exibler, Kohlenstoff punktet
dafür mit größerer Festigkeit.
Das Geheimnis eines
Verbundstoff es liegt dabei stets
in der speziellen Mischung
der gewählten Fasern und
des passenden Kunstharzes
bevor das Material im Ofen
erhitzt wird.
Die Leuchte Tress besticht
mit der stoff artigen Struktur
der einzelnen Bänder. Fünf
verschiedene Arten von
Bändern mit unterschiedlichen
Breiten bilden, quer
übereinandergelegt, den
säulenförmigen Korpus der
Leuchte.
Die Basis und das obere
Ende des Schirms über dem
Leuchtmittel bestehen unter
anderem aus Kohlenstoff -
Faser. Die Leuchte Mite
präsentiert sich wiederum als
zeitgenössischer Luminator,
deren unregelmäßige konische
Form der Verarbeitung einer
Art moderner „Haut“ zu
verdanken ist.
An der Laminierstation
glätten Fausta und Lia das
Gewebe aus Glasfasern, das
später auf die Form kommt (von
ihnen kurz „Haut“ genannt),
und sorgen dafür, dass es
perfekt am Kalander anliegt.
Eine archaische Geste aus dem
Bereich der Hausarbeit, die
Fingerspitzengefühl verlangt.
Manchmal übernehmen diese
Aufgabe auch Männer, aber
die beiden Frauen erledigen
sie am besten.
Inmitten der vielen High-Tech-
Werkzeugmaschinen sieht
man hier eine Tätigkeit, die an
die Gesten einer Schneiderin
beim Einkleiden einer Braut
erinnert. Ein Bild, das uns auch
ein Gefühl dafür vermittelt, wie
viel Zeit dieser Arbeitsschritt
erfordert.
Schließlich läuft das lange
schwarze Filament aus
Kohlenstoff -Faser durch
den Wickler und der Korpus
der Leuchte ist fertig. Für die
Ausführung in Gelb kommt
hingegen sensibler, halbfertiger
Kevlarfaden zum Einsatz, der
jedoch leichter bricht und
Schaden nimmt.
Die mit Kohlenstoff -Faser
möglichen Dimensionen
wurden mit Twiggy
ausgelotet und ausgetestet.
Insbesondere der Schaft
der auch größentechnisch
eindrucksvollen Leuchte
stellte eine große technische
Herausforderung dar.
Der gebogene, elastische
Stiel ist aus zwei Teilen
zusammengesetzt, um die für
die Krümmung notwendigen
mechanischen Eigenschaften zu
garantieren.
Seine Gesamtlänge von
320 Zentimetern erfordert
eine Kombination von zwei
Elementen: einem steiferen
aus Kohlenstoff -Faser für den
unteren Abschnitt und einem
aus verstärkter Glasfaser für
den oberen, plus verstärkende
Elementen an der Spitze.
An diesem Punkt wurde die
Leuchte zunächst mit 9 Kilo
belastet, um die allgemeine
Widerstandsfähigkeit und
Flexibilität des Stiels zu testen
– 150 Muster waren nötig,
um das passende Schaftmodell
zu fi nden.
Die Schirme von Twiggy
bestehen hingegen
aus mit schwarzem
Kunstharz pigmentiertem
Glasfasergewebe, wobei die
Menge an Kunstharz exakt zu
dosieren ist.
Gegebenenfalls erfolgt nach
dem Erhitzen im Ofen eine
entsprechende Reinigung, um
einen fl eckenfreien Moiré-
Eff ekt zu erhalten.
Mit der abschließenden
Lackierung, die von FAPS intern
durchgeführt wird, erhält die
Leuchte ihren fi nalen Look.
Ihr Stiel präsentiert sich nun
schwarz, schmutzig weiß/grau,
karminrot, greige oder indigo.
Dank des geringen
Gewichts des Verbundstoff es
erreicht Twiggy eine
Gesamthöhe von 290
Zentimetern, während die
Arco-Leuchte von Castiglioni
auf 250 Zentimeter beschränkt
war. Auch das Gewicht der
beiden Leuchten bezeugt den
technischen Fortschritt der
letzten Jahrzehnte: 17 Kilo
bringt Twiggy auf die Waage,
64 sind es bei Arco.
4.
Die hier beschriebenen
Kern-Eigenschaften des
industriellen Handwerks sind
ebenso neu wie alt.
Foscarini folgt mit seiner
Produktkultur heute, mit
einem zeitlichen Abstand von
fünfzig Jahren, der Tradition
von Azucena oder Danese.
Zwei Unternehmen, die mit
ihrem Zugang gegen den
Strom schwammen und damit
aus heutiger Sicht zusätzlich
an historischer Bedeutung
gewinnen. Gegründet in den
Jahren 1949 (Azucena) und 1957
(Danese), klammerten sie sich
nie an die Idee, die Produktion
selbst vor Ort abwickeln zu
müssen.
Die beiden Verleger/
Hersteller arbeiteten bereits
mit anderen Firmen in
geographisch verstreut
gelegenen Industriezentren
zusammen, als der Ankauf
und die Konzentration von
Produktionsmitteln noch der
einzige mögliche Weg schien,
um in der modernen Welt
des Designs mitzumischen.
Wendig bewegten sie sich
durch das Netz von Industrie
und Handwerk und spielten
mit dessen Mechanismen.
(Weithin bekannt ist etwa
der Auftrag von Bruno
Danese an einen Hersteller
von Kanalrohren, ein graues
PP-Rohr im 30°-Winkel zu
schneiden und ihm einen Rand
zu verpassen – für die Fertigung
des Papierkorbs In Attesa von
Enzo Mari.) Die Suche nach
einem Arbeitsschritt, der für
die Serienproduktion genutzt
werden kann, ist für Foscarini
in gleichem Maße zentral.
Ebenso erinnern mich gewisse
Klagen der Hersteller über
das akribische Streben von
Foscarini nach höchsten
qualitativen Standards an jene
der industriellen Handwerker,
die für Danese tätig waren.
Bei Danese setzte man
allerdings auf eine Politik
mit einigen wenigen,
„aristokratischen“ Akteuren,
auf eine Art kontinuierliche
Selbstrefl exion in Bezug
auf das Projekt (mit Mari,
Munari, dem Danese-Duo und
sonst niemandem). Foscarini
öff net sich nun hingegen
einer Politik mit zahlreichen
Akteuren: Tatsächlich
arbeitet das Unternehmen
für die Entwicklung seiner
Produktpalette mit etwa 33
Designern zusammen.
Durch diese Vervielfachung
der Beiträge verlagert sich
auch der Schwerpunkt weg
vom Inhalt des Projekts hin
zur Art der Produktion, die
damit zum entscheidenden
Erkennungsmerkmal des
Unternehmens wird.
Erfolg kann dabei heute
laut Andrea Branzi „nur durch
die Organisation provisorischer
Systeme“ gelingen.
Durch intelligente, temporäre
Systeme, die „komplexe
Strukturen jedweder Art
vermeiden“ (2).
Provisorisch und von manueller
Arbeit geprägt präsentiert
sich damit das neo-industrielle
Handwerk.
Was fasziniert an dieser
Art intensiver Forschung,
die sich ganz auf das „Tun“
konzentriert, selten linear
verläuft und sich kaum
programmatisch steuern lässt,
ist genau das, was auch die
Tätigkeit in einem High-Tech-
Raumfahrtlabor kennzeichnet.
Es ist das Konzept
kontinuierlicher Arbeit,
beständiger Weiterentwicklung
und tagtäglicher
Vervollkommnung, das
ein entsprechendes
Innovationspotenzial in