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Mastery
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Maestrie
kommt man kaum auf 20.“
Die Erfahrung, die Moretti
in 50 Jahren in langjährigen
Kooperationen mit den
wichtigsten italienischen
Designunternehmen
gesammelt hat, macht ihn
zu einem gefragten Partner
für die anspruchsvollsten
Designer. Der Beitrag von
Vetrofond beschränkt sich
allerdings nicht allein auf die
Produktentwicklung.
Die Mühen, die in den
vergangenen Jahren in die
Organisation gesteckt wurden,
machen das Unternehmen
heute zu einem Musterbeispiel
für wirtschaftliche Rationalität,
wenn es um die Reduktion der
Kosten und die Pünktlichkeit
der Lieferungen geht.
Das handwerkliche Know-
how, über das Vetrofond
verfügt, wird optimal genutzt
und die entsprechenden
Abläufe sind so organisiert,
dass die Glasbläserei
mit anderen Formen der
industriellen Verarbeitung
im engeren Sinn des Wortes
durchaus konkurrieren kann.
Beeindruckend ist auch das
kontinuierliche Streben nach
weiteren Verbesserungen
wie auch das Augenmerk
für die Handelsspannen, die
das Unternehmen bieten
kann. Das Engagement von
Vetrofond auf organisatorischer
und technologischer
Ebene ermöglicht es dem
Unternehmen heute,
einzigartige Produkte zu
leistbaren Preisen zu fertigen.
Ein Beispiel, auf das die
gesamte Designbranche stolz
sein sollte.
Die Freude am
Experimentieren
„Das geht nicht“: Die
Entwicklung der Leuchte
Aplomb stieß zu Beginn auf
nicht wenige Probleme.
Der Kommentar „Das geht
nicht“ prangt noch heute auf
einem Ausführungsplan, den
Paolo Lucidi und Luca Pevere
an Crea geschickt hatten,
das kleine Unternehmen aus
Darfo, wo Aplomb seither ohne
Unterbrechung produziert wird.
„Das geht nicht“ hatte Giovanni
Piccinelli auch seinen Söhnen
Carlo und Ottavio geschrieben,
nachdem er die Wandstärken
gesehen hatte, die den beiden
Designern aus Palmanova
vorschwebten.
Es ging um die erste Leuchte
aus Zement mit diesen
technischen Eigenschaften.
Zwei Zentimeter waren
zu wenig für traditionelle
Verarbeitungsformen.
Es war schwer, eine passende
Form zu entwickeln und einen
Werkstoff zu fi nden, der
den Herausforderungen des
spezifi schen Projekts gerecht
wurde. Das Unternehmen
Crea kam aus der Baubranche,
in der zweifellos andere
Größenordnungen üblich waren
und wo für die geometrischen
Gussformen andere Maßstäbe
galten. Wie sollte man mit
etwas so Kleinem und Zartem
umgehen?
Aber Giovanni Piccinelli
war schon immer ein überaus
neugieriger Handwerker.
Ein Erfi nder. Ein Entdecker.
Wie viele andere große
italienische Handwerker hat er
nie die Freue am Ausprobieren
und Experimentieren verloren.
Mit neuen Mischungen
und Werkstoff en zu
experimentieren, war seit
jeher seine Leidenschaft.
Sein Wissen darüber, wie
man Gussformen fertigt,
verdankt Piccinelli seiner
Passion und Hartnäckigkeit.
Zunächst arbeitete er mit der
Unterstützung eines Experten,
dann als Autodidakt, wobei
er viele seiner Wochenenden
dafür aufwendete, immer
wieder Neues auszuprobieren.
Paolo Lucidi und Luca Pevere
hatten es verstanden: Mit
Unternehmern wie Giovanni
Piccinelli zu arbeiten, ist ein
Vergnügen. Probleme dienen
hier nur als Vorwand, um sich
dann mit Freude in die Suche
nach originellen Lösungen zu
stürzen. Die unmöglichsten
technischen Herausforderungen
werden zu einem Grund, um
gemeinsam zu diskutieren und
nachzudenken.
Für junge Designer ist es
wichtig, Partner dieser Art zu
fi nden. Erfahrene Handwerker
wissen bereits im Vorfeld,
dass Produktionsmengen
begrenzt sein werden. Sie
gehen nicht davon aus, die
Kosten für die ersten Versuche
durch Skaleneff ekte decken
zu können. Dafür wissen
sie, dass sie das, was sie im
Rahmen des Projekts gelernt
haben, für neue Projekte,
vielleicht auch mit anderen
Unternehmen, nutzen können
werden. Das Wissen, das man
im Zuge eines anspruchsvollen
Projekts erwirbt, kann bereits
im nächsten optimal genutzt
werden. Die Erfahrung, die
man mit einem bestimmten
Produkttyp gemacht hat, dient
als Ausgangspunkt für etwas
Neues, etwa für Produkte
anderer Branchen.
Und so war es auch.
Seit der Entwickung der
ersten Gussformen für
Aplomb hat Crea seinen
Zugang zum Markt radikal
geändert. Das Unternehmen,
ursprünglich fest im Bau- und
Konstruktionswesen verankert,
wurde mit der Zeit zu einem
der führenden Ansprechpartner
für den Einsatz von Zement
im Designbereich.
Die Handwerker, die damals
Villen und Wohnhäuser bauten,
beschäftigen sich heute mit
Gussformen für Leuchten,
Tische und Stifthalter.
Ein radikaler Richtungswechsel,
im Einklang mit dem Talent des
Unternehmens, Probleme auf
innovative Weise zu lösen –
indem es seine Kompetenzen
im Bereich Forschung und
Entwicklung aktiv für neue
Herausforderungen der
Auftraggeber zu nutzen
versteht. Nach Foscarini
folgten viele andere
Unternehmen der Branche,
die von den Kompetenzen
und der Erfi ndungsgabe von
Crea profi tierten. Im Laufe
der Jahre konnten sich die
experimentierfreudigen
Handwerker als vollwertige
Partner für die Fertigung
exklusiver Designprodukte
beweisen. Zu verdanken ist
dies ihrem Fachwissen in
Bezug auf einen Werkstoff wie
Zement, der lange Zeit den
Ruf hatte, für den Einsatz im
Einrichtungsbereich weitgehend
zu schwierig und
zu anspruchsvoll zu sein.
Ein Projekt, das alle
miteinbezieht
Die italienischen
Designunternehmen, die wir
heute „Verleger“ nennen,
haben häufi g bewusst davon
abgelenkt, dass die Produktion
nicht durch sie selbst erfolgt.
Diejenigen, die sich für ein
System entschieden hatten,
das auf unabhängigen
Designern und qualitativ
starken Zulieferern basierte,
waren sich der Stärken dieser
Organisationsform bewusst,
vermieden es aber, diese nach
außen zu kommunizieren.
Begründet liegt diese
Zurückhaltung in einem Erbe
aus der Vergangenheit, in der
Unternehmen mit vertikaler
Integration – bei der Produktion
und Verkauf, Forschung und
Entwicklung sowie der Vertrieb
aus einer Hand erfolgen – als
Vorbild gesehen wurden.
In den letzten Jahren
trug die wirtschaftliche
Diskussion jedoch zur
Entwicklung eines neuen
Standpunkts bei. Inzwischen
hat sich die Idee eines
netzwerkartig organisierten
Unternehmens durchgesetzt
und den Mythos einer Fabrik,
die alle Produktionsschritte
intern abwickelt, erfolgreich
verdrängt. Viele Unternehmer
sind sich dessen bewusst
geworden, wie wichtig es ist,
bestimmte Produktionsschritte
auszulagern – aus Respekt
vor Spezialisierungen und
Kompetenzen, die innerhalb
eines einzelnen Unternehmens
nicht in derselben Form
abzudecken sind. Heute
präsentiert sich das Konzept
der off enen Innovation (engl.
Open Innovation) diesbezüglich
noch radikaler. Wir wissen,
dass es in unserer Welt viele
tolle Ideen gibt, die vielleicht
von jungen, unabhängigen
Talenten entwickelt wurden,
ebenso wie großes Know-how,
das es besser zu nutzen gilt.
Es liegt am Unternehmer und
seinen Mitarbeitern, den
Wert dieser Kenntnisse und
innovativen Kräfte zu erkennen
und diese Kompetenzen – die
sich zum Teil noch in der
Embryonalphase befi nden –
in Marktwert umzuwandeln.
Der neue Zugang, den
Foscarini aktiv mitgestalten
möchte, nimmt diese
Ausrichtung zur Kenntnis,
um einen Schritt weiter zu
gehen. Seit jeher zeigt sich
das Unternehmen off en für
talentierte Beiträge der
begabtesten Designer und
nutzt bewusst das Fachwissen
von Unternehmen, denen es
gelungen ist, spezielle fachliche
Kompetenzen im Bereich der
Verarbeitung zu bewahren und
weiterzuentwickeln.
Ziel ist es, den Wert
anzuerkennen, der dank des
Beitrags renommierter Designer
geschaff en wurde, und zugleich
die Rolle und Bedeutung
des Know-hows sichtbar zu
machen, das die Qualität und
den ästhetischen Wert der
Produkte ermöglicht hat. Vor
allem in Bezug auf das dichte
Netz an qualitativ starken
Zulieferern fördert der Beitrag
von Foscarini soziale und
kulturelle Werte.
Das Gefl echt an Beziehungen
und gemeinsamen
Anstrengungen, das so
ehrgeizige Projekte möglich
macht, verdient es, der
Öff entlichkeit vorgestellt zu
werden und mehr allgemeine
Wertschätzung zu erfahren.
Alle Beteiligten müssen
entsprechend gewürdigt
werden.
Der Grund für dieses
Engagement – die Arbeit
sichtbar zu machen und diese
Erfahrungen zu teilen – hat mit
einem veränderten Konzept
von wirtschaftlichem Wert
zu tun. Wer ein Designobjekt
erwirbt – sei es eine Leuchte
wie Mite oder Tress, um aus
dem Programm von Foscarini
zu zitieren –, benötigt nicht
einfach einen Gegenstand,
der Licht macht. Er sucht im
Allgemeinen nicht nach einer
technischen Lösung für ein
Problem. Wer diese Objekte
kauft, sucht neue soziale und
kulturelle Anregungen, für
die raffi nierte und originelle
Produkte als Medium dienen.
Die Objekte, die die Marke
„Made in Italy“ in der Welt
berühmt gemacht haben,
erfüllen diese Art von Bedürfnis.
Sie dienen als Bindeglied
zwischen unterschiedlichen
Empfi ndungswelten und
Kulturen. Je stärker und
deutlicher diese Nachfrage
von Seiten einer vermehrt
internationalen und vernetzten
Öff entlichkeit steigt, desto
mehr müssen die Unternehmen
lernen, die eigene Arbeit
und die eigene Welt sichtbar
zu machen.
Sie werden sich erklären
müssen. Die Gegenstände,
die sie produzieren, müssen
der Welt den Wert dieses
kulturellen Angebots und
dieser sozialen und territorialen
Bezüge vermitteln.
Aus diesem Blickwinkel
fügt sich das Engagement von
Foscarini in eine Entwicklung
ein, die fünfzig Jahre
zurückreicht. In den 1960er-
Jahren trug das italienische
Design dazu bei, die graue
Welt der Massenproduktion
zum Einsturz zu bringen, indem
es Farben und Vielfalt in das
System der Serienproduktion
brachte. Endlich begannen
die Fantasie und die
Kreativität der Menschen
wieder eine zentrale Rolle in
den Produktionsprozessen
zu spielen, in denen bis
dahin allein die technische
Rationalität dominierte.
Zu Beginn der vierten
industriellen Revolution ist
die Welt des italienischen
Designs aufgerufen, ihren
„Humanismus“ wiederzufi nden
und das Konzept einer rein
technologisch orientierten
Produktion erneut in Frage zu
stellen. Ziel ist es, den Wert
der Gegenstände, die uns in
unserem Alltag begleiten, zu
refl ektieren und neu zu denken.
Immer weniger im Sinn von
Waren und immer mehr im Sinn
von Bindegliedern, die den
internationalen Markt mit jener
Welt in Kontakt bringen, deren
Menschen mit ihrer Arbeit die
hohe Qualität und Ästhetik
dieser Produkte ermöglichen.
Die verborgene Dimension
— Manolo De Giorgi
p. 078
1.
In regelmäßigen Abständen
kommt mir eine bedeutsame
Bemerkung von Enzo Mari aus
einem Gespräch vor einigen
Jahren in den Sinn.
Wir sprachen darüber –
während wir die Vergangenheit
Revue passieren ließen – was
rückblickend der Beitrag
der einzelnen Unternehmen
zum Erfolg des italienischen
Designs gewesen war. In seiner
radikalen Art wies mich Mari
darauf hin, dass es nicht wahr
sei, dass italienische Produkte
industriell seien. Vielmehr seien
sie seit jeher „als industrielle
Produkte konzipiert, aber
handwerklich hergestellt“
worden.
Diese subtile und
entmystifi zierende Erkenntnis
kam zu einem Zeitpunkt, als die
Wirklichkeit schon viel zu lange
Zeit von einem Schleier verhüllt
war und man die Betonung
schon lange auf eine scheinbar
industrielle Konzeption
gelegt hatte. Diese Illusion
verschleierte eine Realität,
die sich gut versteckt an ganz
anderen Orten verbarg.
Über Jahrzehnte hatte
man versucht, das Handwerk
aus dem Blickfeld zu nehmen.
Das erreichte man, indem man
die Angelegenheit in erster
Linie als Frage der Kennzahlen
behandelte. Große oder
mittelgroße Serienproduktionen
galten als industriell, geringe
Stückzahlen wurden dem
Handwerk zugerechnet.
Es war off ensichtlich, dass –
gemessen an diesem Parameter
– das Handwerk praktisch
nicht mehr vorhanden schien.
Als überholter, nicht mehr
zeitgemäßer Zugang, im
Gegensatz zur Serienfertigung
und Massenproduktion, die
endlich den Weg zu größeren
Märkten öff nen würden.
Dabei zeigte jedoch
niemand Interesse dafür,
hinter die Kulissen dieser
Fertigungsmaschinerie
zu blicken und genau
zu durchleuchten, was
in Italien im Zuge der
einzelnen Zwischenschritte
konkret geschah. Etwa um
herauszufi nden, wie viel
die Maschinen tatsächlich
leisteten und wie groß im
Gegensatz dazu der Beitrag der
Facharbeiter (oder modernen
Handwerker) im Rahmen der
kontinuierlichen Anpassung und
qualitativen Nachbearbeitung
war. Viel lieber sprach man
in der Welt des Designs von
Entwürfen, von Designkultur
und deren Akteuren/Designern.
Man konzentrierte sich allein
auf das „High Level“ der
Disziplin und deren kulturellen
Beitrag für die italienische
Gesellschaft. Gleichzeitig
leistete das Qualitätshandwerk
in der Produktion weiterhin
seine unabdingbaren Dienste
und ermöglichte die Umsetzung
anspruchsvollster Aufträge und
unmöglichsten Anpassungen,
die von den Designern unter
dem Deckmantel eines
sogenannten „industriellen“
Zugangs gefordert wurden.
All das änderte sich mit der
Wende des 21. Jahrhunderts
grundlegend. In der nunmehr
globalisierten Welt, mit ihren
neuen Akteuren und neuen,
aufstrebenden Schauplätzen,