Das Trüffelschwein frisst die
aufgespürten Delikatessen am
liebsten selbst. / Although they
prefer to eat their finds themselves,
truffle pigs can be trained.
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FINE DINING
PETIT AMOUR
P
roduktküche – ein Be-
griff, der für sich ge-
nommen absurd ist. Was,
wenn
nicht
Produkte,
sollen schon in einer Kü-
che verarbeitet werden?
Ein Tennisspieler spricht
doch auch nicht von Balltennis und kein
Maurer käme auf die Idee, sich als Stein-
maurer vorzustellen.
In der Küche sieht die Sache jedoch et-
was anders aus: Jahrzehntelang aus Brief-
kästen herausragende Supermarkt-Pros-
pekte voll ganzer Hähnchen für 4,69 Euro
haben dafür gesorgt, dass auch in immer
mehr Restaurants erst auf den Preis und
dann aufs Produkt geguckt wurde. Haupt-
sache, billig. Der kulinarische Rockstar
hieß Geschmacksverstärker.
Wenn also einer wie Boris Kasprik sagt,
er habe sich der Produktküche verschrie-
ben, dann ist das keine Phrase. Kasprik,
34 Jahre alt, kurze, blonde Haare, kantige
Brille, gehört zu einer Generation von Kö-
chen, die sich aufs Wesentliche zurückbe-
sinnen. In einer Zeit, in der sich das Klima
wandelt und mehr und mehr anerkannt
wird, dass viele Ressourcen endlich sind,
begreifen sie ihren Beruf stets auch als eine
gesellschaftspolitische Aufgabe. Sie stehen
dafür ein, Lebensmittel wertzuschätzen,
rufen ihre Mitmenschen dazu auf, sich mit
der Herkunft von Gemüse und Fleisch zu
beschäftigen, mit den Bedingungen, unter
denen es idealerweise entsteht – und zu
akzeptieren, dass Qualität nun mal selten
zum Schleuderpreis verfügbar ist.
Anders als für andere junge Köche
hierzulande ist es für Kasprik allerdings
nicht entscheidend, dass seine Produkte
aus dem unmittelbaren Umland stam-
men. Er ist kein Regionalradikalist. Eine
Tomate muss nicht zwingend auf dem
Feld nebenan gewachsen sein, wichtiger
ist, dass sie in absoluter Topqualität vor
ihm auf dem Schneidebrett liegt. »Ich bin
ein Produktfetischist«, sagt Kasprik. Und
das Land, das ihn ins Schwärmen bringt,
ist nun mal Frankreich. Nirgendwo sonst
wüchsen die Produkte, mit denen er am
liebsten arbeite, so perfekt – Artischocke,
zum Beispiel, oder Steinbutt, Meeres-
früchte und Geflügel.
Kaspriks Einsternrestaurant, das Petit
Amour im gemütlichen Hamburger Stadt-
teil Othmarschen, ist eine Hommage an
die französische Küche. Der kleine, un-
prätentiöse Eckladen steht für große
Kochkunst: In einer winzigen Küche ver-
feinert und neuinterpretiert der gebürtige
Hamburger, was er sich bei Starkoch
Alain Ducasse in Paris angeeignet hat.
Seine prägendste Lehrzeit, wenngleich
auch seine Wanderjahre durch Deutsch-
land, Belgien und Japan ihre kulinarischen
Spuren hinterlassen haben. Kasprik selbst
bezeichnet seine Küche als »hochwertig
modern, aber harmonisch«. Es sei unab-
dingbar, sich als Gastgeber und Koch ste-
tig zu verbessern, Dinge neu zu betrach-
ten, er sagt aber auch: »Ich muss das Rad
nicht neu erfinden, es funktioniert nun mal
am besten, wenn es rund ist.« Soll heißen:
Eine richtig gute Sauce wird für ihn immer
die Basis bleiben. Genauso wie gewisse
Geschmackskombinationen. Krustentiere
und Erbsen etwa ergänzten sich wunder-
voll und würden daher immer wieder zu-
sammen auf seiner Karte stehen.
Zwei neue Menüs entwickelt Kasprik in
der Regel pro Jahreszeit, je nachdem, wie
es das Wetter zulässt. Einmal die Woche
liefert ihm ein Händler die Produkte aus
Frankreich, die er braucht. Ein Trans-
port, der das Klima belastet, das ist dem
Sternekoch bewusst. Wo es ihm möglich
ist, denkt er daher auch lokal. Deutsche
Zwiebeln etwa – mindestens genauso gut
wie französische. Ein weiteres Beispiel
ist Wasser: Warum wie viele andere Res-
taurants aus Italien heranschaffen? Eine
Filteranlage tue es vollkommen. Das
Hamburger Leitungswasser sei qualitativ
hervorragend.
Um sich zu vergewissern, dass sel-
biges auch für die Lebensmittel aus der
Ferne gilt, packt der Küchenchef einmal
im Jahr ein Zelt ein und fährt mit seinem
Kombi in den Süden. Eine Woche ent-
spannt er auf einem Campingplatz von
seiner kräftezehrenden Arbeit. Als Res-
taurantbesitzer kümmert er sich nicht
nur ums Essen, er ist auch Personalab-
teilung, Hausmeister, Buchhaltung und
Sommelier. Dann macht er sich auf den
Weg zu Weinbauern, Hummerfischern
und Austernproduzenten, um ihre Ware
besser kennenzulernen.
Besonders gerne erinnert sich Kas-
prik daran, wie er mit zwei Trüffel-
suchern unterwegs war. Im italienischen
Piemont begleitete er einen Herrn, der
einen Hund für sich suchen ließ, im fran-
zösischen Périgord einen, der lieber aufs
Schwein setzte. »Es war sehr spannend,
das mal so zu vergleichen«, sagt Kasprik.
Er lernte, dass Hunde bei so vielen Trüf-
feln wie möglich anschlagen, egal, ob
sie reif sind oder nicht, weil sie auf eine
Belohnung hoffen. Das Schwein dage-
gen pickt nur die reifen heraus, da es sie
selbst verspeisen will.
Manchem mag dieses Detailwissen
»nerdig« erscheinen. Letztlich macht
jedoch genau das den Unterschied zwi-
schen einem guten und einem exzellen-
ten Koch aus.
Boris Kasprik,
Chefkoch und Inhaber /
head chef and owner
Der Trüffel: ein knolliger, meist un-
terirdisch wachsender Pilz. Er gehört
zu den teuersten und kulinarisch
wertvollsten Pilzen. / One of the
most expensive fungi, truffles are a
generally stumpy, rounded growth
found below ground.
DER PRODUKT-
FETISCHIST
Der Hamburger
Boris Kasprik
setzt im
»Petit Amour«
auf die
französische
Kochkunst und
hervorragende
Produkte.
Dafür geht er
auch mal mit auf
Trüffelsuche.